KRISTINA KONRAD - UNAS PREGUNTAS (DE/UY 2018)
Zweiter Tag, Duisburger Filmwoche, Werners letzte, meine zweite, Unas Preguntas, ein zwei Fragen, zweiter Film, Dienstag, schlappe 237 Minuten Lauflänge.
Ehrlich, wenn ich letzteres im Vorfeld nicht überlesen hätte, wäre ich wohl Bummeln gegangen, Duisburg, Fußgängerzone, Hafen, Supermarkt, Citygrill, Joppiesoße. Gut allerdings, dass ich es überlesen habe. Nach 30 Minuten Film, erste Verunsicherung, wo will der hin, was soll das und wieso braut sich das so langsam nur zusammen. Als mich mein Sitznachbar aufklärt, schlafe ich aus Schock kurz ein. Knappe 15 Minuten später bin ich wieder zurück. Der Montagsabendkater ist weg, ich bin jetzt drin.
Im Klartext: Ich weiß nicht genau wie, aber das perfide Plätschern der mir so ach bekannt vorgekommenen Aufnahmen der ersten 30 Minuten (Demonstrationen, leere Straßen, volle Straßen, drive-by-shots und skandierende Mengen) hatte sich in einen reißenden Fluss voller Fragen und Antworten verwandelt. Ich frage mich: Habe ich in den 15 Minuten Sekundenschlaf etwas verpasst? Auf spätere Nachfrage ist dieses Mysterium nicht zu klären, einig sind sich jedoch nahezu alle Gesprächspartner.innen, dass der Anfang rückblickend die Grundlage erst hat bilden können, ja müssen, um diese monströse Experimentstruktur tragbar zu machen: Das Experiment, aus jahrzehntealtem Material über historisch ob der sich überstürzenden Ereignisse der Postmoderne fast in Vergessenheit geratenen politischen Prozesse einen Film zu schneiden, der in seiner Aktualität der Analyse des urdemokratischen Seins vieles übersteigt und überholt erscheinen lässt, worin sich Medien und Forschung in der Ära Trump, Bolsonaro und Co. die Zähne ausbeißen. Kein nüchterner Zugang, kein wissenschaftlicher Diskurs. Fragen, direkte, an jene, welche die Wahlen zu bestreiten haben, in der Postmoderne links wie rechts verlabelt auf den zu politischer Impotenz verbannenden Diminuitiv Wutbürger.in. Erfolgreiche Demagogen haben schon immer gewusst, wie sich "das Volk" mobilisieren lässt, keine Frage, das geächtete Mittel, herzlich willkommen im Jahr 2019. Aber wer hört ihnen, "dem Volk", denn eigentlich dann zu, wenn es erst aufgewiegelt ist und schlägt nicht mit dieser Frage um sich, instrumentalisiert sie lieber, als sie zu stellen wagen.
In diesem Fall sind wir es, die Zuschauer.innen, die im Film von Konrad tatsächlich zuhören, gebannt die Spaltung der uruguayischen Gesellschaft verhandelt sehen, die sich an dem Versuch der Regierung entzündet, per Gesetz eine Generalamnestie für die Verbrecher.innen der Militärdiktatur durchzusetzen. Die Demonstrationen sind organisiert, Teil der Bürgerinitiative, die versucht diesen Gesetzesentwurf zu kippen. Die Fragen, die Konrad, oder besser: ihre Kollegin, stellt, sind jedoch nicht die offensichtlichen, biste dafür oder dagegen, die ein, zwei Fragen zu Beginn jeder Befragung auf den Straßen, auf den Marktplätzen, an den Tischen der Bauern, vor den Wahllokalen lauten nämlich immer wieder: Was ist Demokratie, was ist Frieden? Langweilig? Nee, im Gegenteil, nie hätte man vermuten können, wie divers, wie persönlich die Antworten auf jene Sachständlichkeiten hätten sein mögen, deren Inhalt sich in gefühlten tausend Schulstunden in meinem Hirn zentral zu manifestieren scheinen ließ. Wie das Ganze schließlich endet? Die Bösen gewinnen die Wahl, weil die Linken in ihrem Glauben an die Universalität ihres Denkens die Landbevölkerung offenbar vergessen haben. Kommt Ihnen bekannt vor?
Anstatt nun die wunderbar naive Kameraarbeit zu preisen, oder den Mut, dieses Material in jenem gigantischen Kraftakt, der es gewesen sein muss, zu sichten, zu sortieren, zu schneiden, ein Auszug aus einem Gespräch, das so nie stattgefunden hat:
Demokratie (sich in die Brust werfend) | Ich bin die Stimme des Volkes! |
Frieden (erhaben) | Ich bin der Wunsch des Volkes. |
Demokratie | Wo ich bin, da reden die Menschen miteinander. |
Frieden | Wo ich bin, da können die Menschen miteinander leben. |
Demokratie (auftrumpfend) | Durch mich können die Menschen überhaupt erst im Frieden leben. Ich mach´ das möglich! |
Frieden (nachsichtig) | Da hast du wohl recht. |
Demokratie | Ohne mich würde es dich gar nicht geben, Frieden. |
Frieden (nachdenklich) | Mh. |
Demokratie (selbstgefällig) | Jaja. |
Frieden (analytisch) | Warte mal, wenn es mich nicht gäbe, gäbe es dich auch nicht, Demokratie. |
Demokratie (paternalistisch nach vorn gelehnt) | Na aber, aber, mein Kleiner, erst durchs Reden kanns dich geben und dafür bin ich ja wohl da. Wenn ich die Henne wär, wärst du mein Ei. Haha. |
Frieden (errötend) | Du bist und bleibst eine selbstgefällige Chauvisau, Demokratie, nichts hast du verstanden und wirst es auch nie, du bist an allem... |
In diesem Moment betritt Diktatur den Raum
Diktatur | Nana, ihr zwei Süßen, werdet euch doch wohl nicht streiten, was sollen nur die Leute denken! |
Demokratie und Frieden (im Chor) | Och nöö... |
Diktatur (schüttelt das wenige Haar auf dem Kopf) | Doch, doch, da bin ich, frisch wie eh und je. Ich weiß ja nicht, worums diesmal ging (zwinkert), aber nun da ich endlich da bin, könnt ihr ja beide endlich verschwinden, husch husch, weg mit euch. |
Frieden packt seine Sachen zusammen.
Frieden (im Weggehen) | Ihr seid beide echt zu doof! |
Knallt die Tür zu.
Tür geht gleich wieder auf.
Utopie steht im Rahmen, sie sieht gehetzt aus.
Utopie (nach Luft schnappend) | Was ist hier denn los, scheiße, warum ist plötzlich alles im Arsch, so hab ich mir das echt nicht vorgestellt! |
Demokratie (ruhig und abgeklärt) | So sind die Prozesse eben nun mal, für euch ist da kein Platz, ihr Weicheier. |
Diktatur | Weise gesprochen, alter Feind. |
Demokratie | Drei Worte: Halts Maul. |
Utopie (immer noch schwer atmend) | Ich hab auf den ganzen Kinderkack echt keine Lust mehr. |
Diktatur | Dann geh doch. |
Tür fliegt auf, Dystopie steht mit gezückter Waffe im Raum.
Ein Kamerateam stürzt ebenfalls durch den Türrahmen.
Demokratie und Diktatur weichen ängstlich zurück.
Dystopie (laut, aggressiv) | Du kleine Ratte, Utopie, ein für alle Mal, mir machst du keinen Schritt mehr durch die Rechnung. |
Utopie (entspannt) | Strich. |
Dystopie (verunsichert) | Was? |
Utopie (belehrend) | Einen Strich durch die Rechnung machen. |
Dystopie (puterrot) | Genau das ist mein Problem mit dir, immer denkst du, du hast das letzte Wort, nein, mein Freund, nicht mehr lange, es ist ein für alle mal vorbei! |
Kamerafahrt auf das Gesicht von Dystopie.
Zoom auf die Waffe in ihrer Hand.
Utopie schaut hoch, lächelt wissend.
Dystopie schießt.
In Zeitlupe geht Utopie zu Boden.
Dystopie fasst sich an die Brust.
Erkennender Blick.
Beide sterben.
Diktatur | So, dann müssen wir das eben ohne die beiden lösen. |
Demokratie (stöhnt auf) | Ich fühle mich plötzlich so...leer... |
Diktatur (nach Luft hechelnd) | Was... geschieht?! |
Demokratie | Krächz. |
Diktatur (in die Arme der Demokratie sinkend) | Keuch. |
Beide gehen zu Boden.
Tür geht einen Spalt auf, Frieden schaut hinein.
Lächelt.
Macht die Tür wieder zu.
Tür geht wieder auf, Foucault kommt hinein.
Michel Foucault | Enfin. |
Foucault ab.
Kamerateam ab.
Ein Gespräch wie aus weiter Ferne.
Matthias Dell | Ist die Duisburger Filmwoche in dieser Kontinuität von Filmegucken und Reden und eine Woche zusammensitzen vielleicht auch alt geworden? |
Werner Ružička | Old school. Nicht alt. Old school. Aber natürlich, das ist eine Frage, die sich stellt. War es der Mühe wert? Ja? War das die Zeit, die es hatte? Und jetzt muss alles anders und neu und besser gedacht werden? Kann sein: Was mich angeht. Es war gut. Und dann ist gut. |
Danke Werner.
KRISTINA KONRAD - UNAS PREGUNTAS (DE/UY 2018)
Zweiter Tag, Duisburger Filmwoche, Werners letzte, meine zweite, Unas Preguntas, ein zwei Fragen, zweiter Film, Dienstag, schlappe 237 Minuten Lauflänge.
Ehrlich, wenn ich letzteres im Vorfeld nicht überlesen hätte, wäre ich wohl Bummeln gegangen, Duisburg, Fußgängerzone, Hafen, Supermarkt, Citygrill, Joppiesoße. Gut allerdings, dass ich es überlesen habe. Nach 30 Minuten Film, erste Verunsicherung, wo will der hin, was soll das und wieso braut sich das so langsam nur zusammen. Als mich mein Sitznachbar aufklärt, schlafe ich aus Schock kurz ein. Knappe 15 Minuten später bin ich wieder zurück. Der Montagsabendkater ist weg, ich bin jetzt drin.
Im Klartext: Ich weiß nicht genau wie, aber das perfide Plätschern der mir so ach bekannt vorgekommenen Aufnahmen der ersten 30 Minuten (Demonstrationen, leere Straßen, volle Straßen, drive-by-shots und skandierende Mengen) hatte sich in einen reißenden Fluss voller Fragen und Antworten verwandelt. Ich frage mich: Habe ich in den 15 Minuten Sekundenschlaf etwas verpasst? Auf spätere Nachfrage ist dieses Mysterium nicht zu klären, einig sind sich jedoch nahezu alle Gesprächspartner.innen, dass der Anfang rückblickend die Grundlage erst hat bilden können, ja müssen, um diese monströse Experimentstruktur tragbar zu machen: Das Experiment, aus jahrzehntealtem Material über historisch ob der sich überstürzenden Ereignisse der Postmoderne fast in Vergessenheit geratenen politischen Prozesse einen Film zu schneiden, der in seiner Aktualität der Analyse des urdemokratischen Seins vieles übersteigt und überholt erscheinen lässt, worin sich Medien und Forschung in der Ära Trump, Bolsonaro und Co. die Zähne ausbeißen. Kein nüchterner Zugang, kein wissenschaftlicher Diskurs. Fragen, direkte, an jene, welche die Wahlen zu bestreiten haben, in der Postmoderne links wie rechts verlabelt auf den zu politischer Impotenz verbannenden Diminuitiv Wutbürger.in. Erfolgreiche Demagogen haben schon immer gewusst, wie sich "das Volk" mobilisieren lässt, keine Frage, das geächtete Mittel, herzlich willkommen im Jahr 2019. Aber wer hört ihnen, "dem Volk", denn eigentlich dann zu, wenn es erst aufgewiegelt ist und schlägt nicht mit dieser Frage um sich, instrumentalisiert sie lieber, als sie zu stellen wagen.
In diesem Fall sind wir es, die Zuschauer.innen, die im Film von Konrad tatsächlich zuhören, gebannt die Spaltung der uruguayischen Gesellschaft verhandelt sehen, die sich an dem Versuch der Regierung entzündet, per Gesetz eine Generalamnestie für die Verbrecher.innen der Militärdiktatur durchzusetzen. Die Demonstrationen sind organisiert, Teil der Bürgerinitiative, die versucht diesen Gesetzesentwurf zu kippen. Die Fragen, die Konrad, oder besser: ihre Kollegin, stellt, sind jedoch nicht die offensichtlichen, biste dafür oder dagegen, die ein, zwei Fragen zu Beginn jeder Befragung auf den Straßen, auf den Marktplätzen, an den Tischen der Bauern, vor den Wahllokalen lauten nämlich immer wieder: Was ist Demokratie, was ist Frieden? Langweilig? Nee, im Gegenteil, nie hätte man vermuten können, wie divers, wie persönlich die Antworten auf jene Sachständlichkeiten hätten sein mögen, deren Inhalt sich in gefühlten tausend Schulstunden in meinem Hirn zentral zu manifestieren scheinen ließ. Wie das Ganze schließlich endet? Die Bösen gewinnen die Wahl, weil die Linken in ihrem Glauben an die Universalität ihres Denkens die Landbevölkerung offenbar vergessen haben. Kommt Ihnen bekannt vor?
Anstatt nun die wunderbar naive Kameraarbeit zu preisen, oder den Mut, dieses Material in jenem gigantischen Kraftakt, der es gewesen sein muss, zu sichten, zu sortieren, zu schneiden, ein Auszug aus einem Gespräch, das so nie stattgefunden hat:
Demokratie (sich in die Brust werfend) | Ich bin die Stimme des Volkes! |
Frieden (erhaben) | Ich bin der Wunsch des Volkes. |
Demokratie | Wo ich bin, da reden die Menschen miteinander. |
Frieden | Wo ich bin, da können die Menschen miteinander leben. |
Demokratie (auftrumpfend) | Durch mich können die Menschen überhaupt erst im Frieden leben. Ich mach´ das möglich! |
Frieden (nachsichtig) | Da hast du wohl recht. |
Demokratie | Ohne mich würde es dich gar nicht geben, Frieden. |
Frieden (nachdenklich) | Mh. |
Demokratie (selbstgefällig) | Jaja. |
Frieden (analytisch) | Warte mal, wenn es mich nicht gäbe, gäbe es dich auch nicht, Demokratie. |
Demokratie (paternalistisch nach vorn gelehnt) | Na aber, aber, mein Kleiner, erst durchs Reden kanns dich geben und dafür bin ich ja wohl da. Wenn ich die Henne wär, wärst du mein Ei. Haha. |
Frieden (errötend) | Du bist und bleibst eine selbstgefällige Chauvisau, Demokratie, nichts hast du verstanden und wirst es auch nie, du bist an allem... |
In diesem Moment betritt Diktatur den Raum
Diktatur | Nana, ihr zwei Süßen, werdet euch doch wohl nicht streiten, was sollen nur die Leute denken! |
Demokratie und Frieden (im Chor) | Och nöö... |
Diktatur (schüttelt das wenige Haar auf dem Kopf) | Doch, doch, da bin ich, frisch wie eh und je. Ich weiß ja nicht, worums diesmal ging (zwinkert), aber nun da ich endlich da bin, könnt ihr ja beide endlich verschwinden, husch husch, weg mit euch. |
Frieden packt seine Sachen zusammen.
Frieden (im Weggehen) | Ihr seid beide echt zu doof! |
Knallt die Tür zu.
Tür geht gleich wieder auf.
Utopie steht im Rahmen, sie sieht gehetzt aus.
Utopie (nach Luft schnappend) | Was ist hier denn los, scheiße, warum ist plötzlich alles im Arsch, so hab ich mir das echt nicht vorgestellt! |
Demokratie (ruhig und abgeklärt) | So sind die Prozesse eben nun mal, für euch ist da kein Platz, ihr Weicheier. |
Diktatur | Weise gesprochen, alter Feind. |
Demokratie | Drei Worte: Halts Maul. |
Utopie (immer noch schwer atmend) | Ich hab auf den ganzen Kinderkack echt keine Lust mehr. |
Diktatur | Dann geh doch. |
Tür fliegt auf, Dystopie steht mit gezückter Waffe im Raum.
Ein Kamerateam stürzt ebenfalls durch den Türrahmen.
Demokratie und Diktatur weichen ängstlich zurück.
Dystopie (laut, aggressiv) | Du kleine Ratte, Utopie, ein für alle Mal, mir machst du keinen Schritt mehr durch die Rechnung. |
Utopie (entspannt) | Strich. |
Dystopie (verunsichert) | Was? |
Utopie (belehrend) | Einen Strich durch die Rechnung machen. |
Dystopie (puterrot) | Genau das ist mein Problem mit dir, immer denkst du, du hast das letzte Wort, nein, mein Freund, nicht mehr lange, es ist ein für alle mal vorbei! |
Kamerafahrt auf das Gesicht von Dystopie.
Zoom auf die Waffe in ihrer Hand.
Utopie schaut hoch, lächelt wissend.
Dystopie schießt.
In Zeitlupe geht Utopie zu Boden.
Dystopie fasst sich an die Brust.
Erkennender Blick.
Beide sterben.
Diktatur | So, dann müssen wir das eben ohne die beiden lösen. |
Demokratie (stöhnt auf) | Ich fühle mich plötzlich so...leer... |
Diktatur (nach Luft hechelnd) | Was... geschieht?! |
Demokratie | Krächz. |
Diktatur (in die Arme der Demokratie sinkend) | Keuch. |
Beide gehen zu Boden.
Tür geht einen Spalt auf, Frieden schaut hinein.
Lächelt.
Macht die Tür wieder zu.
Tür geht wieder auf, Foucault kommt hinein.
Michel Foucault | Enfin. |
Foucault ab.
Kamerateam ab.
Ein Gespräch wie aus weiter Ferne.
Matthias Dell | Ist die Duisburger Filmwoche in dieser Kontinuität von Filmegucken und Reden und eine Woche zusammensitzen vielleicht auch alt geworden? |
Werner Ružička | Old school. Nicht alt. Old school. Aber natürlich, das ist eine Frage, die sich stellt. War es der Mühe wert? Ja? War das die Zeit, die es hatte? Und jetzt muss alles anders und neu und besser gedacht werden? Kann sein: Was mich angeht. Es war gut. Und dann ist gut. |
Danke Werner.