41. Duisburger Filmwoche.
Dienstag, 07.11., Thementag auf der Duisburger Filmwoche (einer von vielen):
Anton und Ich
Aus einem Jahr der Nichtereignisse
Gerahmt vom Auftreten junger, in Politik- und Plastikwelten (ist denn da ein Unterschied?) sich bewegenden Menschen, in Unterzahl gegen den Strom rudernd und Tränen vergießend dem Strom sich einbettend, auf ihrem Weg durch deutsche Lebenswirklichkeit, von unten nach oben, Mehrheit behauptend – im Fokus stehend: Anton und Willi, aber auch Werner (Nekes) und Villi (Hermann), und auch wenn unterschiedlicher sie tatsächlich nicht sein könnten, so doch alle Vertreter der vorigen Generationen, der aktiver (Nekes/Hermann) und passiver (Anton/Willi) sich in die Prozesse der Gegenwart Eingeschriebenen, aber v.a. Aussterbenden – biologisch, gestalterisch.
Willi und Anton sind Bauern, bzw. waren es, verwitwet, bzw. ledig, nord-, bzw. süddeutsch, geeint in Tierliebe, Einsamkeit, Behinderung, Eigenbrötlerei; mystisch verklärte Outlaws am Rande einer an ihnen vorüberhetzenden Gesellschaft, deren Geschwindigkeit sie, Anton und Willi, nicht tangiert, sie dadurch erhoben werden, von ihnen unbemerkt und auch ungewollt, den Aufstieg zur Ikone vollführen lässt. Vergessen und doch mehr als lediglich nostalgisch zur Referenz bemüht, gefallen und doch gefeiert: Bollwerk gegen den Spekulationskapitalismus (Anton), gegen das Vergessen (Willi), Zeitzeugen, Unbeugsame.
Filme über ikonische Helden, die keine sein wollen und können, scheitern meist, doch diese beiden funktionieren, auf ihre eigenen Weisen, mit ihren eigenen Mitteln, mit ihren eigenen Zugängen. Mit einer vergleichenden, essayistisch geführten, nicht auf Vollständigkeit, sondern das Gedächtnis sich berufenden Analyse kann jedoch mehr offenlegt werden als reine, funktionale Formalität: es wird sich darin, so viel vorweg, eine Bildwende abzeichnen. In aller Deutlichkeit.
Grabe, wie der Titel seines Films (Anton und Ich) bereits vermuten lässt, schreibt sich selbst mit ein in das Leben seines Protagonisten, richtiger: in seine Darstellung, in ihre scheinbar doppelseitig zweckhafte Beziehung. So behauptet Grabe im Film, dass er sich wünschte, dass seine Kamera Anton ermutigen könnte, nicht aufzugeben. Doch Anton ist für Grabe Teil (s)einer Projektionsfläche, ein nicht immer bedeutsam gewesenes, aber nun stilisiert, da singulär stehendes, menschliches Objekt, pars pro toto, der die Kindheits- und Lebenserinnerung an schöne Stunden als Urlauber auf ebenjenem Hof abzeichnet, welcher, so wird schnell deutlich, mit dem Verstummen des die Stille (und den bösen Kapitalismus) vertreibenden Pfeifen seinen Unter- bzw. Übergang ins Berchtesgadener Spekulationswesen finden wird. Grabe und Anton stehen, obgleich seit Jahrzehnten miteinander bekannt und ähnlichen Alters in distanziertem Verhältnis zueinander. Das Sie, so Grabe im Gespräch nach dem Film, sei Teil ihrer, trotz der offensichtlichen Brüchigkeit der Situation, aufrechterhaltenen Wirt-Gast-Beziehung, eine Beziehung, die in Frage zu stellen weder Film noch Protagonisten, weder Form noch Umgang sich erlauben (dürfen). Darin steckt eine – wenn nicht die – Stärke des Films: Ein sehr vertrautes und doch extrem distanziertes Miteinander zwischen Subjekt und Objekt des Werks, das die Darstellung niemals zu mitleidig, angespannt, unangenehm machen würde für die Zuschauer_innen. Ein achtsames Miteinander, das seine Grenzen kennt, nicht überreizt, die Würde trotz des desaströsen Zustands von Anton wahrt und damit aber auch kreisförmig, unantastbar, fertig, unzugänglich für ein zuschauendes Außen sich präsentiert. Aber auch das ist nicht weiter wichtig, denn Grabe hat ein Dokument seiner – und v.a. für seine – Erinnerung erschaffen, in wackeligen Videobildern beschreibt jede Einstellung, jeder Zoom, der bis ins VoiceOver kratzende Ton, die Berge, das Haus, die Kühe, Anton – dies alles schreibt ein (Abwesenheits-) Protokoll vergangener Tage, vielleicht auch besserer, weniger matschiger, weniger qualvoller Tage – aber nicht allein für Anton, nein, vorwiegend für den Urlauber selbst, der seine (Urlaubs-) Heimat sich verlieren sieht und damit, ungewollt, die exemplarische, aber unaufhaltsame, durch kein Eingreifen verhinderbare – mehr noch: verhinderte – Modernisierung der Welt beschreibt. (Außer diesen Film letztlich ans Fernsehen zu verkaufen.)
Der Titel des Films von Renninger/Frölke (Aus einem Jahr der Nichtereignisse) stellt, anders als Grabes Titel keine Beziehung auf (vermeintlicher) Augenhöhe in Aussicht, provoziert stattdessen, mit überheblich-wertendem Gestus, einen Blick junger Filmschaffender auf die Existenz von Nichtereignissen, exerziert an einer Nichtexistenz. Doch löst der Film diese Provokation nicht ein (wie sollte er auch?), vielmehr öffnet er vom ersten (Nicht)-Bild an sich in verschiedene Richtungen, deren Drehkreuz der Umgang der Filmschaffenden mit dem verwendeten Filmmaterial darstellt. Dieser ist, anders als die in Selbstaussage von Renninger/Frölke im Filmgespräch ausgestellte Haltung, keineswegs charakterisiert durch die Abwendung vom Nostalgisch-Klischeehaften, da gerade die S-W/Farbe/8mm/16mm-Gemischtästhetik mit deutlicher Fokussierung auch und vor allem über die Ebene des Tons eben jene Nostalgie erzeugen muss, wie kaum eine andere Materialität, doch dies ist in Hinsicht auf seine Verwendung allenfalls ein zweitrangig zu diskutierendes Thema, da die Filmschaffenden sich formal wie inhaltlich, auf verbindende, intelligente und v.a. bewusstseinserweiternde Weise mit der Materialität und ihrer Verwendung befassen.
Ein Mensch taucht auf im Schwarzbild als Nichtsichtbare, dennoch spürbare und v.a. hörbare Existenz, das Rattern der Kamera ist zu hören, (Regie-) Anweisungen aus dem OFF, das Bild, der Mensch, ein alter Mann im Rollstuhl, Schwarzbild, das Rattern der Kamera verstummt, der Ton läuft immer weiter, erneuter Bildeinsatz – neue Perspektive, Bild aus, Gespräch, Stille, Rattern, Außen, Stille.
Der Film entfaltet seinen eigenen Rhythmus, möglich gemacht aufgrund der besonderen Verwendung des analogen Materials, in den Pausen, in den Schwarzbildern entsteht im Kopf, auf der „leeren“ Leinwand ein tonal plötzlich sichtbar werdender Raum. Ein Raum der Bildpause, die vom zuschauenden Blick gefüllt werden können, technisch, menschlich, individuell, Sujet-bezogen. Der Film gibt der Zuschauer_in eine Funktion über das reine Konsumieren hinaus, in den bildhaften Nichtereignissen entsteht Neues, Ungesehenes – keine Regel, kein Kampf gegen das übermächtige Leben getarnt als drohender Abriss der Erinnerungsruine, stattdessen ein vakuumähnlicher Raum, in dem der Protagonist Willi seine Heimat bezogen hat, oder besser: auf den er bezogen wird, ohne jedoch ihm etwas zuzuschreiben, was er nicht ist und wäre. Es ist ein Gespräch, ein filmisches auf Augenhöhe, ein Umgang ohne Floskel, ohne Distanz, aber auch ohne unangenehme Nähe, ein Nicht-Ort, der durch seine Rhythmik, die sich so auch im Wechsel der Jahreszeiten abbildet, ein natürlicher ist, vielleicht ein archetypischer, wäre da nicht Willi, dessen Kontakte zur Außenwelt zwar rar, aber dennoch real sind, dessen Erinnerungen reale sind, die den Rahmen konstruieren, in dem er sich und den Film situiert. Die Filmemacherin reist nach Italien, wandelt auf den Spuren von Willis Erzählung, bricht mit der Erwartung, die der Film als geschlossene Struktur aufbaut, macht ihn dadurch vielleicht inkonsequent, viel mehr aber öffnet er ihn, macht sichtbar, was schein-realistisches Filmemachen gerne kaschiert: Die Orte der Erinnerung sehen in der (aktuellen) Realität eben nicht so aus, wie in der (erzählbaren) Erinnerung – eine platte Erkenntnis, die den Film von Renninger/Frölke erweitert, die zeigt, dass sie bereit sind zu suchen, zu forschen, mit experimentellen Ansätzen Realität und Erinnerung, die Knotenpunkte im Aufbau einer jeden Erzählung miteinander und gegeneinander verfließen zu lassen, auch wenn das Ergebnis stilistisch im Sinne eines geschlossenen Genredenkens vielleicht unangenehm zu ertragen erscheint.
Grabe dagegen wühlt sich durch ein genretypisches Netz von Erinnerungen – vor allem seinen eigenen – ungefragt damit auch und v.a. durch das Leben seines Protagonisten, ehrwürdig Distanz wahrend, dennoch distanzlos im (Genre)-Produkt.
Wenn Willi und Anton am Ende stehen, wo sie bereits zu Anfang ihrer filmischen Handlung standen, so scheint sich Antons Welt weitergedreht zu haben, während Willi am gleichen Gartenstuhl, leicht verrückt (der Gartenstuhl), in der scheinbar gleichen Erinnerungsschleife hängt, wie im Jahr zuvor. Eine Zeit der Ereignisse scheint somit, wenn die beiden Filme unter dieser oberflächlichen Struktur miteinander verglichen werden wollen, einem echten Jahr der Nichtereignisse gegenüberzustehen. Aber sogar das stimmt wenn dann nur bedingt. Anton hat sich nicht geöffnet und konnte es aber auch nicht, er konnte sich nicht entwickeln, nicht weil sein Charakter so borniert ist, weil er so stur ist, wie seine Verwandten ihn beschreiben, sondern vor allem, weil die filmische Form, in die er gezwängt wurde, so starr ist, so alternativlos. Die dauerhafte und scheinbar teilnahmslose Beobachtungshaltung hinsichtlich der Handlungen aber vor allem Nicht-Handlungen Antons, also dem, was sein Körper nicht mehr in der Lage ist zu tun (obwohl er es über so lange Zeit tun konnte – und musste), offenbart die rückwärtsgewandte Haltung des Filmemachers Grabe, den starken Wunsch, das festzuhalten, was nicht festzuhalten ist, außer vielleicht letztlich in der immer wiederkehrenden Abbildung des unverrückbaren Bergmassivs, worauf Grabes Blick aus seinem Zimmer bei Anton fällt, dem Zimmer, in dem er sich seit Jahrzehnten eingerichtet hat und das hinter sich zu lassen ihm schwer fällt, verständlicherweise, offensichtlich.
Renninger/Frölke dagegen haben sich noch in keinem Zimmer eingerichtet, so ihr Film über sie. Keine Tür, an deren Schilder die Logos öffentlich-rechtlicher Anstalten prangen, kein Verschließen vor der rauen filmemacherischen Wirklichkeit, können sich keine Rückwärtsgewandheit im Handeln erlauben, besser: wollen es offensichtlich nicht. Ihr Film bietet das, was Grabes Film nicht kann: obwohl beide Filme ein Zeugnis einer am Rande der Gesellschaft existierenden Figur ablegen wollen, öffnet sich der Film von Renninger/Frölke dem Publikum. Er will nicht nur unterhalten, lehren, Zeit vertreiben, dokumentieren, teilhaben lassen, sondern fordert aktive Mitarbeit. Fordert Mitdenken. Fordert Selbstbewusstsein vom Zuschauer_in im wahrsten Sinne dieses Wortes. Dieser Film ist Teil einer größeren, komplexen, unorganisierten, zwangsläufig anarchischen Bewegung. Einer Bewegung gegen einschläfernde Sehgewohnheiten, gegen Genreklarheit, gegen Bevormundung, gegen ein um sich selbst drehendes, sich selbst beweihräucherndes öffentlich-rechtliches System. Dieser Film hat eine Vision. Bildwende, jetzt.
41. Duisburger Filmwoche.
Dienstag, 07.11., Thementag auf der Duisburger Filmwoche (einer von vielen):
Anton und Ich
Aus einem Jahr der Nichtereignisse
Gerahmt vom Auftreten junger, in Politik- und Plastikwelten (ist denn da ein Unterschied?) sich bewegenden Menschen, in Unterzahl gegen den Strom rudernd und Tränen vergießend dem Strom sich einbettend, auf ihrem Weg durch deutsche Lebenswirklichkeit, von unten nach oben, Mehrheit behauptend – im Fokus stehend: Anton und Willi, aber auch Werner (Nekes) und Villi (Hermann), und auch wenn unterschiedlicher sie tatsächlich nicht sein könnten, so doch alle Vertreter der vorigen Generationen, der aktiver (Nekes/Hermann) und passiver (Anton/Willi) sich in die Prozesse der Gegenwart Eingeschriebenen, aber v.a. Aussterbenden – biologisch, gestalterisch.
Willi und Anton sind Bauern, bzw. waren es, verwitwet, bzw. ledig, nord-, bzw. süddeutsch, geeint in Tierliebe, Einsamkeit, Behinderung, Eigenbrötlerei; mystisch verklärte Outlaws am Rande einer an ihnen vorüberhetzenden Gesellschaft, deren Geschwindigkeit sie, Anton und Willi, nicht tangiert, sie dadurch erhoben werden, von ihnen unbemerkt und auch ungewollt, den Aufstieg zur Ikone vollführen lässt. Vergessen und doch mehr als lediglich nostalgisch zur Referenz bemüht, gefallen und doch gefeiert: Bollwerk gegen den Spekulationskapitalismus (Anton), gegen das Vergessen (Willi), Zeitzeugen, Unbeugsame.
Filme über ikonische Helden, die keine sein wollen und können, scheitern meist, doch diese beiden funktionieren, auf ihre eigenen Weisen, mit ihren eigenen Mitteln, mit ihren eigenen Zugängen. Mit einer vergleichenden, essayistisch geführten, nicht auf Vollständigkeit, sondern das Gedächtnis sich berufenden Analyse kann jedoch mehr offenlegt werden als reine, funktionale Formalität: es wird sich darin, so viel vorweg, eine Bildwende abzeichnen. In aller Deutlichkeit.
Grabe, wie der Titel seines Films (Anton und Ich) bereits vermuten lässt, schreibt sich selbst mit ein in das Leben seines Protagonisten, richtiger: in seine Darstellung, in ihre scheinbar doppelseitig zweckhafte Beziehung. So behauptet Grabe im Film, dass er sich wünschte, dass seine Kamera Anton ermutigen könnte, nicht aufzugeben. Doch Anton ist für Grabe Teil (s)einer Projektionsfläche, ein nicht immer bedeutsam gewesenes, aber nun stilisiert, da singulär stehendes, menschliches Objekt, pars pro toto, der die Kindheits- und Lebenserinnerung an schöne Stunden als Urlauber auf ebenjenem Hof abzeichnet, welcher, so wird schnell deutlich, mit dem Verstummen des die Stille (und den bösen Kapitalismus) vertreibenden Pfeifen seinen Unter- bzw. Übergang ins Berchtesgadener Spekulationswesen finden wird. Grabe und Anton stehen, obgleich seit Jahrzehnten miteinander bekannt und ähnlichen Alters in distanziertem Verhältnis zueinander. Das Sie, so Grabe im Gespräch nach dem Film, sei Teil ihrer, trotz der offensichtlichen Brüchigkeit der Situation, aufrechterhaltenen Wirt-Gast-Beziehung, eine Beziehung, die in Frage zu stellen weder Film noch Protagonisten, weder Form noch Umgang sich erlauben (dürfen). Darin steckt eine – wenn nicht die – Stärke des Films: Ein sehr vertrautes und doch extrem distanziertes Miteinander zwischen Subjekt und Objekt des Werks, das die Darstellung niemals zu mitleidig, angespannt, unangenehm machen würde für die Zuschauer_innen. Ein achtsames Miteinander, das seine Grenzen kennt, nicht überreizt, die Würde trotz des desaströsen Zustands von Anton wahrt und damit aber auch kreisförmig, unantastbar, fertig, unzugänglich für ein zuschauendes Außen sich präsentiert. Aber auch das ist nicht weiter wichtig, denn Grabe hat ein Dokument seiner – und v.a. für seine – Erinnerung erschaffen, in wackeligen Videobildern beschreibt jede Einstellung, jeder Zoom, der bis ins VoiceOver kratzende Ton, die Berge, das Haus, die Kühe, Anton – dies alles schreibt ein (Abwesenheits-) Protokoll vergangener Tage, vielleicht auch besserer, weniger matschiger, weniger qualvoller Tage – aber nicht allein für Anton, nein, vorwiegend für den Urlauber selbst, der seine (Urlaubs-) Heimat sich verlieren sieht und damit, ungewollt, die exemplarische, aber unaufhaltsame, durch kein Eingreifen verhinderbare – mehr noch: verhinderte – Modernisierung der Welt beschreibt. (Außer diesen Film letztlich ans Fernsehen zu verkaufen.)
Der Titel des Films von Renninger/Frölke (Aus einem Jahr der Nichtereignisse) stellt, anders als Grabes Titel keine Beziehung auf (vermeintlicher) Augenhöhe in Aussicht, provoziert stattdessen, mit überheblich-wertendem Gestus, einen Blick junger Filmschaffender auf die Existenz von Nichtereignissen, exerziert an einer Nichtexistenz. Doch löst der Film diese Provokation nicht ein (wie sollte er auch?), vielmehr öffnet er vom ersten (Nicht)-Bild an sich in verschiedene Richtungen, deren Drehkreuz der Umgang der Filmschaffenden mit dem verwendeten Filmmaterial darstellt. Dieser ist, anders als die in Selbstaussage von Renninger/Frölke im Filmgespräch ausgestellte Haltung, keineswegs charakterisiert durch die Abwendung vom Nostalgisch-Klischeehaften, da gerade die S-W/Farbe/8mm/16mm-Gemischtästhetik mit deutlicher Fokussierung auch und vor allem über die Ebene des Tons eben jene Nostalgie erzeugen muss, wie kaum eine andere Materialität, doch dies ist in Hinsicht auf seine Verwendung allenfalls ein zweitrangig zu diskutierendes Thema, da die Filmschaffenden sich formal wie inhaltlich, auf verbindende, intelligente und v.a. bewusstseinserweiternde Weise mit der Materialität und ihrer Verwendung befassen.
Ein Mensch taucht auf im Schwarzbild als Nichtsichtbare, dennoch spürbare und v.a. hörbare Existenz, das Rattern der Kamera ist zu hören, (Regie-) Anweisungen aus dem OFF, das Bild, der Mensch, ein alter Mann im Rollstuhl, Schwarzbild, das Rattern der Kamera verstummt, der Ton läuft immer weiter, erneuter Bildeinsatz – neue Perspektive, Bild aus, Gespräch, Stille, Rattern, Außen, Stille.
Der Film entfaltet seinen eigenen Rhythmus, möglich gemacht aufgrund der besonderen Verwendung des analogen Materials, in den Pausen, in den Schwarzbildern entsteht im Kopf, auf der „leeren“ Leinwand ein tonal plötzlich sichtbar werdender Raum. Ein Raum der Bildpause, die vom zuschauenden Blick gefüllt werden können, technisch, menschlich, individuell, Sujet-bezogen. Der Film gibt der Zuschauer_in eine Funktion über das reine Konsumieren hinaus, in den bildhaften Nichtereignissen entsteht Neues, Ungesehenes – keine Regel, kein Kampf gegen das übermächtige Leben getarnt als drohender Abriss der Erinnerungsruine, stattdessen ein vakuumähnlicher Raum, in dem der Protagonist Willi seine Heimat bezogen hat, oder besser: auf den er bezogen wird, ohne jedoch ihm etwas zuzuschreiben, was er nicht ist und wäre. Es ist ein Gespräch, ein filmisches auf Augenhöhe, ein Umgang ohne Floskel, ohne Distanz, aber auch ohne unangenehme Nähe, ein Nicht-Ort, der durch seine Rhythmik, die sich so auch im Wechsel der Jahreszeiten abbildet, ein natürlicher ist, vielleicht ein archetypischer, wäre da nicht Willi, dessen Kontakte zur Außenwelt zwar rar, aber dennoch real sind, dessen Erinnerungen reale sind, die den Rahmen konstruieren, in dem er sich und den Film situiert. Die Filmemacherin reist nach Italien, wandelt auf den Spuren von Willis Erzählung, bricht mit der Erwartung, die der Film als geschlossene Struktur aufbaut, macht ihn dadurch vielleicht inkonsequent, viel mehr aber öffnet er ihn, macht sichtbar, was schein-realistisches Filmemachen gerne kaschiert: Die Orte der Erinnerung sehen in der (aktuellen) Realität eben nicht so aus, wie in der (erzählbaren) Erinnerung – eine platte Erkenntnis, die den Film von Renninger/Frölke erweitert, die zeigt, dass sie bereit sind zu suchen, zu forschen, mit experimentellen Ansätzen Realität und Erinnerung, die Knotenpunkte im Aufbau einer jeden Erzählung miteinander und gegeneinander verfließen zu lassen, auch wenn das Ergebnis stilistisch im Sinne eines geschlossenen Genredenkens vielleicht unangenehm zu ertragen erscheint.
Grabe dagegen wühlt sich durch ein genretypisches Netz von Erinnerungen – vor allem seinen eigenen – ungefragt damit auch und v.a. durch das Leben seines Protagonisten, ehrwürdig Distanz wahrend, dennoch distanzlos im (Genre)-Produkt.
Wenn Willi und Anton am Ende stehen, wo sie bereits zu Anfang ihrer filmischen Handlung standen, so scheint sich Antons Welt weitergedreht zu haben, während Willi am gleichen Gartenstuhl, leicht verrückt (der Gartenstuhl), in der scheinbar gleichen Erinnerungsschleife hängt, wie im Jahr zuvor. Eine Zeit der Ereignisse scheint somit, wenn die beiden Filme unter dieser oberflächlichen Struktur miteinander verglichen werden wollen, einem echten Jahr der Nichtereignisse gegenüberzustehen. Aber sogar das stimmt wenn dann nur bedingt. Anton hat sich nicht geöffnet und konnte es aber auch nicht, er konnte sich nicht entwickeln, nicht weil sein Charakter so borniert ist, weil er so stur ist, wie seine Verwandten ihn beschreiben, sondern vor allem, weil die filmische Form, in die er gezwängt wurde, so starr ist, so alternativlos. Die dauerhafte und scheinbar teilnahmslose Beobachtungshaltung hinsichtlich der Handlungen aber vor allem Nicht-Handlungen Antons, also dem, was sein Körper nicht mehr in der Lage ist zu tun (obwohl er es über so lange Zeit tun konnte – und musste), offenbart die rückwärtsgewandte Haltung des Filmemachers Grabe, den starken Wunsch, das festzuhalten, was nicht festzuhalten ist, außer vielleicht letztlich in der immer wiederkehrenden Abbildung des unverrückbaren Bergmassivs, worauf Grabes Blick aus seinem Zimmer bei Anton fällt, dem Zimmer, in dem er sich seit Jahrzehnten eingerichtet hat und das hinter sich zu lassen ihm schwer fällt, verständlicherweise, offensichtlich.
Renninger/Frölke dagegen haben sich noch in keinem Zimmer eingerichtet, so ihr Film über sie. Keine Tür, an deren Schilder die Logos öffentlich-rechtlicher Anstalten prangen, kein Verschließen vor der rauen filmemacherischen Wirklichkeit, können sich keine Rückwärtsgewandheit im Handeln erlauben, besser: wollen es offensichtlich nicht. Ihr Film bietet das, was Grabes Film nicht kann: obwohl beide Filme ein Zeugnis einer am Rande der Gesellschaft existierenden Figur ablegen wollen, öffnet sich der Film von Renninger/Frölke dem Publikum. Er will nicht nur unterhalten, lehren, Zeit vertreiben, dokumentieren, teilhaben lassen, sondern fordert aktive Mitarbeit. Fordert Mitdenken. Fordert Selbstbewusstsein vom Zuschauer_in im wahrsten Sinne dieses Wortes. Dieser Film ist Teil einer größeren, komplexen, unorganisierten, zwangsläufig anarchischen Bewegung. Einer Bewegung gegen einschläfernde Sehgewohnheiten, gegen Genreklarheit, gegen Bevormundung, gegen ein um sich selbst drehendes, sich selbst beweihräucherndes öffentlich-rechtliches System. Dieser Film hat eine Vision. Bildwende, jetzt.